Teamfähigkeit im Wandel

Neue Anforderungen an Teams durch neue Formen der Zusammenarbeit und Implikationen für das Verständnis von Teamarbeit und –fähigkeit

Sind Sie in den letzten 5-10 Jahren einem Stelleninserat begegnet, welches nicht explizit verlangt hat, dass Sie ein hohes Mass an Teamfähigkeit mitbringen? Die Häufung dieses Kriteriums für Bewerber, aber auch das diffuse Verständnis dieses Begriffs haben mich dazu verleitet, zu reflektieren, welche Anforderungen an Teams durch neue Formen der Zusammenarbeit entstehen und welche Implikationen dies für das Verständnis von Teamarbeit und –fähigkeit nach sich zieht.

Die gegenwärtige Arbeitswelt entwickelt sich bekanntlich nicht linear, sondern mit zunehmender Geschwindigkeit und mit unvorhersehbarem Ausgang. Trotz neuer Technologien und vermehrter digitaler Unterstützung in Arbeitsprozessen entstehen durch die Volatilität dieser Neuerungen nebst erfreulichen Fortschritten auch Unsicherheiten und Probleme an verschiedenen Orten der Arbeitslandschaft.

Womöglich scheint auf einen ersten Blick das heute angesammelte Wissen über teambasierte Arbeitsstrukturen so weit fortgeschritten, wie nie zuvor. In der Praxis ist die Anwendbarkeit der Erkenntnisse aus der Forschung jedoch umstritten. Der definitorische Rahmen, den die Wissenschaft um ihre Forschung zu Teams legt, stellt im Zusammenhang mit den jüngeren Entwicklungen ein Problem dar. Bisherige Forschung geht überwiegend von Teams als zeitlich stabile, genau definierte und in Vollzeit-Pensen zusammenarbeitende Einheiten aus (Cohen und Bailey 1997: 242). Diese Definition ist bei einem Teil der heutigen Teams aber nicht mehr zutreffend.

Während sich in gewissen Branchen die Form der Zusammenarbeit über die letzten Jahre in geringer Form verändert hat (z.B. Flugzeugbesatzung, Chirurgie-Team, Detailhandelsabteilung, …), ändert sich die Form der teambasierten Arbeitsstrukturen in anderen Bereichen umfassender (z.B. in Innovations- und Projektteams, Verwaltungseinheiten, …). Berger (2019) unterteilt in diesem Sinne klassische und dynamische Teams, wobei sich dynamische Teams durch folgende Charakteristiken auszeichnen können:

  • Virtual Teaming: Kommunikation findet ohne die Präsenz der Teammitglieder statt.
  • Fluid Teaming: Die Teamzusammensetzung verändert sich über die Zeit.
  • Multiteaming: Personen können gleichzeitig mehreren Teams zugehörig sein und darin jeweils unterschiedliche Rollen einnehmen.

Als Ursache für die Veränderung der Arbeitsweise in Teams können unter anderem die steigende Komplexität von Projekten oder die Notwendigkeit von interdisziplinären Kompetenzen in den Projektgruppen genannt werden. Ein Auftrag, welcher beispielsweise keiner Abteilung in einem traditionellen hierarchischen Organigramm zugeteilt werden kann, erfordert für die Dauer dieses Projekts die temporäre Zusammenarbeit von Personen aus verschiedenen Ressorts. Auf diese Weise können in agilen Projektgruppen die Zuständigkeiten und Rollen abhängig von der Projektphase sein. Das Hinzuziehen von weiteren Personen zur Projektgruppe kann erst im Verlauf des Projektes und für eine bestimmte Dauer beschlossen werden. Gewisse Projektabschnitte werden zu Gunsten geringerer Präsenzzeit auf virtuellem Weg abgehandelt. Für die zunehmende Zahl an individuumszentrierten Netzwerkorganisationen und dezentral-enthierarchisierten Arbeitsgemeinschaften ist diese Art von Projektarbeit effizient, gewinnbringend oder gar notwendig (Strohm und Nido, 2019).

  • Was bedeuten diese Veränderungen für die Teamfähigkeit auf individueller und Gruppenebene?

Einerseits kann für das Individuum das Einnehmen von mehreren Rollen zu Stress und Belastung führen (vgl. Rollenstress-Tehorie, Goode, 1960). Je verschiedener dabei die Teams und je unterschiedlicher die Rollen, umso komplexer gestaltet sich der Umgang damit. Andererseits kann aus unterschiedlichen formellen oder auch informellen Rollen auch auf individueller Ebene ein Gewinn resultieren. Beispielsweise kann durch das Bewusstsein über Leader- und Follower-Position in unterschiedlichen Teams gegenseitiges Rollenverständnis und letztendlich auch ein verständnisvolles Teamklima gefördert werden.
Gerade eben für das Teamklima ergeben sich aber durch die kürzere Dauer des Team-Bestehens weitere Herausforderungen. Die Verbundenheit und Loyalität zu einem Team, die sich in klassischen Teams aus einer zeitlichen Entwicklung ergibt, wird in dynamischen Teams erschwert. Studien zeigen in diesem Zusammenhang, dass Rollenkonflikte eine negative Auswirkung auf das Commitment haben.

  • Welche Massnahmen bieten sich an?

Aufgrund des grossen Science-Practice-Gap der im Bereich der dynamischen Teams klafft, kann häufig nur auf einzelne Erfahrungen aus der Praxis oder generische Forschungsansätze zurückgegriffen werden. Mögliche Ansätze sind:

  • Die Basis legen: Besonders in fragmentierten Arbeitskontexten möglichst früh (z.B. während Kick-Offs) die Basis für die kommende Zusammenarbeit legen. Im Sinne von Tuckmans (1965) Phasen der Gruppenentwicklung gilt es insbesondere in Führungsrollen in den frühen Forming und Storming Phasen optimale Voraussetzungen zu schaffen. Konkret gilt es Rollenklarheit, Vertrauen und die Grundlage für eine möglichst hohe partizipative Sicherheit zu schaffen.
  • Iterative Prozessgestaltung im Projektmanagement: Regelmässige Meetings oder Traktanden, wobei die Zusammenarbeit und damit verbundenen Rollen im Fokus stehen, abhalten. Dadurch kann die bisherige Rollenverteilung reflektiert und gegebenenfalls angepasst werden.
  • Flexible, zeitlich begrenzte Rollen: Durch die Rotation von Rollen (z.B. Phasenabhängig) oder das Abwechseln belastender Rollen (z.B. Führungsrolle) können einerseits die Belastung reduziert und andererseits Lernsprozesse angeregt werden.
  • Adaptive Rollen: Das Konzept beinhaltet die Idee, die durch eine Hierarchie oder Teamstruktur vorgesehene Rolle nicht lediglich mit einer Person zu füllen. Vielmehr soll die Rolle differenziert, also auf mehrere Teammitglieder aufgeteilt werden und nach Möglichkeit für die Personen im Projektteam adaptiert werden.

Durch die Adaptation von Rollen kann beispielsweise eine grundsätzlich kritisch eingestellte, womöglich veränderungsaverse Person mit der Aufgabe betraut werden, die Machbarkeit und Realisierbarkeit der einzelnen Projektschritte zu beurteilen und darüber zu berichten. Dadurch entsteht eine kleinere Diskrepanz zwischen Person und Rolle, was allfällige Rollenwechsel weniger belastend gestaltet.

  • Lernprozesse anregen: Als Unternehmen Raum und Anreize zur individuellen Entwicklung der Mitarbeitenden bieten. Diese Massnahme behält auch im Kontext dynamischer Teams eine hohe Relevanz. Durch Kompetenzvermittlung und die Möglichkeit zur Übernahme von Selbstverantwortung kann der Umgang mit Rollen auch ausserhalb der Teamarbeit entwickelt werden.

Abschliessend bleibt festzustellen, dass sich das Verständnis von Teamarbeit und dadurch auch Teamfähigkeit diversifiziert und individualisiert. Die Erwartungen an Personen und Teams sind für jede Branche oder sogar für jede Organisation verschieden und hängen nicht auch zuletzt vom Zweck eines Projektteams selbst ab. Die Teamfähigkeit einer Einzelperson zeigt sich also nicht mehr nur durch Eigenschaften wie Empathie, Integrität oder Gewissenhaftigkeit. In einem Arbeitskontext, in welchem dynamische Team- und Arbeitsformen zur Normalität gehören, ist auch der persönliche Umgang mit verschiedenen Rollen von zentraler Bedeutung für den Erfolg von Person und Team.

Inspirationen:

Bartonitz, M. (2020) Unternehmung 2.0 – geht es bald auch ohne Chefs? Forum Agile Verwaltung, https://agile-verwaltung.org/2020/01/23/unternehmung-2-0-geht-es-bald-auch-ohne-chefs/ [24.01.2020]

Berger S. (2019) Rollenstress in Teams. OrganisationsEntwicklung, 28(4), 25-30

Cohen, S.G. & Bailey, D.E. (1997) What makes teams work: Group effectiveness research from the shop floor to the executive suite. Journal of Management 23(3), 239-290

Goode, W.J. (1960) A theory of role strain. American sociological review, 25(4), 483-496

Lévesque, V., (2019) VUCA, Führung, Agil – ein Spagat mit drei Beinen?

Strohm O., Nido M. (2019) So bereiten sich Betriebe auf morgen vor. Panorama, 10(6), 8-9

Tuckman, B. (1965). Developmental sequence in small groups. Psychological Bulletin. 63(6): 384–99.

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